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Zähne zeigen.

Roman von Zadie Smith (2000, Droemer Knaur).

Besprechung von Ulrich SonnenscheinausderFrankfurter Rundschau, 6.3.2001:

Der jüngste Tag des Duracell-Hasen
Die Britin Zadie Smith verblüfft mit ihrem Romandebüt "Zähne zeigen" Leser und Kritiker

Von Ulrich Sonnenschein

Wenn Zadie Smith über ihren ersten Roman spricht, fühlt man sich an eine Anekdote aus dem Leben Thomas Manns erinnert. Als er seiner Frau Katja, die gerade von einer Kur aus Davos zurückgekehrt war, seine Kurzgeschichte Der Zauberberg zeigte, soll sie gesagt haben: "Ich war wochenlang dort oben und du schreibst nur ein paar Seiten?" Das umfangreiche Ergebnis dieses kleinen Dialogs ist heute Teil der Literaturgeschichte.

Bei Zadie Smith war es etwas anders, doch man spürt in jedem Satz, dass sich bei ihr viele Geschichten angestaut haben, und das, obwohl sie erst 25 Jahre alt ist. Eigentlich habe sie eine Kurzgeschichte schreiben wollen, doch einfach kein Ende gefunden. Wenn man die 20. Seite überschritten hat, sagt sie, weiß man, dass man die Geschichte nicht mehr so kurz halten kann wie Raymond Carver, und dann gilt es nur noch, die Novelle zu vermeiden. Zwei Jahre hat sie, an ihrem ersten Roman gearbeitet, noch als Studentin der englischen Literatur in Cambridge, und sich immer nur daran gehalten, was sie von Carver, einem ihrer vielen Vorbilder, gelernt hat: Als Autor hast du nur eine moralische Verpflichtung, und zwar den Worten gegenüber.

Zähne zeigen (656 Seiten, 44,90 DM, Droemer Knaur) bei ist ein Buch voller bunter Gegenwärtigkeit, obwohl es einen Zeitraum von über 50 Jahren umfasst. Schlafwandlerisch macht Zadie Smith aus Willesden, dem gleichförmigen Suburbia im Norden Londons, das es so nur in England gibt, eine Welt voller Spannungen und Gegensätze, zwischen alltäglichen Drogen und radikalen Moslems, koscheren Metzgern und fleischfreien Pubs, freigeistigen Genforschern und besessenen Traditionalisten. Als "zügellos, ausladend und unehrlich" bezeichnete sie ihr eigenes Werk, doch hinter der Selbstkritik steckt ein erstaunliches Maß an Selbstbewusstsein. Und die zahlreichen Preise, die sie inzwischen bekommen hat, geben ihr Recht. Neben dem "Whitbread Award" für Romandebüts erhielt sie auch den international ausgeschriebenen "Guardian First Book Award". Einer der Juroren war der Autor Julian Barnes, der zugab, er habe als Schriftsteller ein "brennendes Gefühl des Neides" verspürt, als er Zähne zeigen las.

In acht Länder wurde dieser Romanerstling bereits verkauft, und die BBC hat die Rechte für eine TV-Miniserie erworben. Zadie Smith selbst will noch nicht daran denken. Sie liebe Fernsehen, sagt sie, und verbringe oft ganze Nachmittage mit schlechten Shows, aber das sei noch zu weit weg. Und dann fügt sie mit ihrem trockenen Humor hinzu, dass sie sich etwas um ihre Männerrollen sorge. Da es im Grunde alles alte Kerle seien, wünsche sie sich Jude Law in der Rolle der Alsana. Alsana allerdings ist die übergewichtige bengalische Frau ihres Protagonisten Samad Iqbal.

Was macht diesen Roman aus dem multiethnischen Milieu in London so bedeutend, dass kaum mehr jemand wagt, auch auf die Schwächen hinzuweisen und sein Übermaß an Figuren und vor allem das versöhnliche Ende zu kritisieren? Der Roman ist vielleich, wie Zadie Smith sagt, das "literarische Äquivalent eines hyperaktiven, zehn Jahre alten, steptanzenden rothaarigen Kindes" - und damit in erster Linie außergewöhnlich. Ihre Dialoge sind von einer Vitalität, dass man glaubt, man säße auf dem Oberdeck eines dieser roten Busse. Man genießt die scharfsichtige Analyse auch der unbedeutenden Nebensächlichkeiten und folgt den sich oft verlierenden Gedanken, weil Zadie Smith mit Worten umzugehen weiß. Selbst dann wenn sie philosophische Ideen des Daseins auf "Analogien für den Duracell-Hasen" reduziert, sind Witz, Sentimentalität und eine Form des magischen Realismus eben gerade so wohl dosiert, dass es keine Untiefen gibt, die den Lesefluss behindern.

Vor allem aber ist ihr Roman auf der Suche nach Grenzen, die Welten trennen und verbinden. Mühelos schlägt sie Brücken zwischen Jamaika und England. Zadie Smith hat wie eine ihrer Figuren, Irie Jones, eine jamaikanische Mutter und einen englischen Vater, die beide selbst schreiben, und doch ist der Roman weniger autobiografisch, als man bei so einer jungen Autorin annehmen möchte. Dann kontrastiert sie die Lebensrealität des indischen Subkontinents mit der des großstädtischen Mitteleuropas auf indirekte Weise, indem sie die Vorstellungen von Samad Iqbal an der Wirklichkeit seiner Söhne Millat und Magid scheitern lässt. Sie lässt religiöse Extreme aufeinander prallen, die fundamentalistischen jungen Moslems mit ihrem problematischen Akronym KEVIN, die Zeugen Jehovas und die radikalen Tierschützer, deren schicksalsbestimmende Absicht nicht nur in ihrem Namen FATE quasireligiöse Züge annimmt. Und schließlich stellt sie die aktuelle Frage nach den genetischen Determinanten des menschlichen Daseins. Denn während sich die Iren, Engländer, Bengalen und Jamaikaner in ihrem Buch um ideengeschichtliche Entwicklungsprozesse der Zivilisation und den vermeintlich jüngsten Tag Gedanken machen, hat ein englischer Wissenschaftler eine sogenannte "Future Mouse" entwickelt, deren Lebensablauf genetisch derart vorgegeben ist, dass man weiß, wie alt sie wird, wann ihre Haare weiß werden und wann sie schließlich an Krebs erkrankt.

Da es das Absolute aber in diesem Buch nicht geben soll, trifft auch die Gentechnik auf ihre Grenzen, und zwar nicht hinsichtlich der Frage, welche Manipulationen noch möglich sein werden, sondern darin, den beiden charakterlich extrem unterschiedlichen Zwillingen Magid und Millat eine Vaterschaft nachzuweisen.

Zadie Smith pflegt eine sanfte, mitunter aber nachhaltige Ironie. Zwischen bösem Spott und frecher Naivität bewahrt sie sich ihre Distanz und nimmt auch in Interviews immer wieder Rollen ein. So hat sie einmal geschrieben, Recherche sei etwas für Menschen mit großen, groben stirnlastigen Köpfen, die wüssten was sie tun, wogegen der Schriftsteller im großen und ganzen denselben IQ habe wie der kosmetische Berater im Kaufhaus Bloomingdales. Tatsächlich aber gründet ihr Roman ebenso auf anderen Romanen, Dokumenten und Sachbüchern wie auf der Realität. Die Zeit des Zweiten Weltkriegs, der moslemische Fundamentalismus, die Situation auf den Straßen Londons in den 70-er Jahren sind kein Produkt ihrer Fantasie, die Gedankenwelt ihrer beiden älteren Helden dagegen schon. Und da sie dabei aus dem Vollen zu schöpfen scheint, kann sie wie Archibald Jones, dessen Leben mit einem vereitelten Selbstmord auf Seite eins beginnt, immer mal wieder die Münze entscheiden lassen. Zur Zeit sitzt sie an einem neuen Buch, das, so sagt sie, wesentlich humorvoller werden soll als Zähne zeigen. Man kann sich den Kampf der Verlage schon vorstellen, die, so die Gerüchte, für ihr Debüt bereits 250 000 Pfund geboten haben sollen.

[...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter www.fr-aktuell.de]

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